Das nachfolgende Interview beschäftigt sich mit dem Einfluss von Industrie4.0 auf das Anlaufmanagement im produzierenden Gewerbe. Zentrale Aspekte sind dabei die durch Digitalisierung und Automatisation steigende Komplexität und Dynamik, aus denen neue Herausforderungen für das Ramp-Up Management entstehen. Die Anlaufphase beginnt bereits bei der Übergabe eines Produkts an die Porduktionsabteilung und endet mit dem Erreichen vorher festgelegter Produktionsvolumina. Es beinhaltet die Koordination effektiver Anlaufmethoden von der Entwicklung erster Prototypen bis hin zu den ersten markttauglichen Produkten. Durch die Entwicklung von Industrie4.0 kommt es zu einer zunehmenden Vernetzung und einer steigenden Bedeutung des Informationsaustauschs zwischen den verschiedenen Elementen des Produktionsprozesses. Diese Umstände stehen oft in einem engen Zusammenhang mit dem sogenannten Internet der Dinge. Im Fokus zur Begegnung der damit einhergehenden Herausforderungen steht die Anwendung von Agilitätskonzepten, die gewährleisten sollen, dass Unternehmen in einer dynamischen Umgebung des Anlaufs konkurrieren können.
Wie ist Ihre Beziehung zur Thematik Industrie4.0 und Management des Produktionsanlaufs?
Nach BWL-Studium, einigen Auslandsjahren und zahlreichen Förderprojekten und Studienteilnahmen zum integrativen Management blicke ich auf eine sehr fundierte Begriffswelt und Referenzen im Themengebiet zurück. Im Vergleich zu anderen Industrienationen sind papierlose Fertigung, Cloud Nutzung oder insgesamt der Breitband-Ausbau in Deutschland weit abgeschlagen zurück. Lean, Rationalisierung und vernetzte Integration sind negativ besetzt; die Nutzung des Orts- und Zeitversetzen Arbeitens in zumeist überalterten Belegschaften nicht attraktiv. Agilitätsmodelle müssen daher leicht erlernbar und verständlich sein.
Was sind Ihre Kernaufgaben im Unternehmen/in Ihrer Abteilung?
In der Leitung die Abstimmung der verteilten Standorte im Abgleich der personellen und kapazitiven Ressourcen, sowie die Forcierung von Innovations- und Coworking Techniken und Umgebungen. Eine zunehmende modulare Fertigungstiefe mit Lieferanten- und Logistikpartnern, bei gleichzeitiger Minimierung der Roh- und Fertigwarenbestände soll erreicht werden. Das geht einher mit einer Zunahme an administrativen Dokumentations- und Erstellungsaufgaben – den mitgeltenden Unterlagen zu OEM-, Katalog- und/oder Projektbauteilen.
Wo sind in Ihrem Unternehmen Ramp-Up Prozesse anzutreffen?
Genau diese Prozesse finden sich in den Geschäftsbereichen Automotive, Railway und OEM. Neben den typischen Meilensteinen, wie Freigaben, Sonderverfahren und speziellen Technologien (kleben statt schweissen), sind Fertigungsbedingungen, Infrastruktur und Lagerung, wie Verpackungsvorgaben zu schulen, zu etablieren, zu prüfen. Neben den technologischen Herausforderungen kommen juristische und fremdsprachliche Aspekte neu hinzu. Selten ergibt sich eine Lernkurve aus ähnlichen Projekten. Selten ist ein vergleichbares Team in vergleichbaren Projekten zusammen.
Wie beurteilen Sie die aktuelle Performance Ihrer Organisation im Ablauf?
Durch begleitende Vor-Mit-Nach-Projektbetrachtung suchen wir nach Prozess- und Bauteil-Ähnlichkeiten, um hoffnungsvoll aus Hürden zu lernen. Im Vergleich mit anderen europäischen Marktbegleitern unterliegen wir jedoch einem Arbeits-Stückkosten-Nachteil, den wir nur durch einen hohen Automatisierungsgrad oder überlegene Produkt-Eigenschaften ausgleichen können. Selbstkritisch betrachtet bleiben wir unter unserem Potenzial und Branchenbenchmarks.
Welchen Einfluss wird Industrie4.0 auf Ihre Geschäftstätigkeit und Ihren Anlaufprozess haben?
Das Füllhorn an Möglichkeiten, Individualisierung und Spezialisierung mit Industrie4.0 Werkzeugen setzt ein grundlegend neues Denken voraus. Skalierung, Virtualisierung oder Monitoring als Fallbeispiele, die eine hohe IT-Kompetenz und möglicherweise auch Programmier-/Datenbank-Verständnis voraussetzen. Fachtechnik ohne Fachleute ist ein Engpass. Verbunden mit der radikalen Öffnung zu Open Source, Open Innovation und Auslagerung von Shared Services zugunsten von Fokus-Schärfung innerhalb von Netzwerken. Firmen bewerben sich beim Kunden und Fachkräften, um Aufträge und Mitarbeit.
Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Vernetzung und der Informationsaustausch im Anlauf entwickeln?
Heutzutage ist nicht die Rechenkapazität, sondern die verteilte Rechenkapazität unsere Herausforderung. Genau, wie Generalisten im Unternehmen zur Steuerung von Spezialisten ausserhalb der Unternehmung. Leider können nur wenige Mitarbeitende in 3D denken, ebenso wie nur wenige in Netzwerk-Trunks informelle Infrastrukturen aufbauen und weiterentwickeln können. Datenprofil-Erstellung und Auswertung ist bei der nationalen Datenschutz-Auslegung unmöglich, obwohl Big Data Semantik jederzeit und Aufgaben-bezogen angemietet werden könnte. Wir stehen uns in den rechtlichen Rahmenbedingungen selbst im Weg.
Zu welchem Grad werden Produktionssysteme autonomer arbeiten können?
Die Anbindung von MES- und BOA-Systemen an etablierte ERP-Stammdaten zeigt, dass neben Assistenz auch selbstlernende und -regelnde Automaschinen umsetzbar und Schicht-tauglich sind. Unser Erlös- und Geschäftsmodell wandelt sich zur Bereitstellung von Infrastruktur für remote-Fremdaufträge; Kapazitäten werden absehbar im Auktionsprinzip angeboten: extra schnell kostet extra. Daneben wird es Zubehör-Maschinen geben, die auf der Baustelle vor-Ort und auf Kleinbedarf fertigen und mittels unserem Stecksystem smarte Funktionalitäten gewährleisten.
Welche Rolle schreiben Sie intelligenten Maschinen bei der Problemlösung in zukünftigen Anlaufmodellen zu?
Geht es hier möglicherweise um die Unterschiede zwischen menschlicher versus künstlicher Intelligenz? Wenn dem so ist, geht es um lernen oder das Umsetzen von Erfahrungswissen in Algorithmen-Regeln. Der Mensch ist Entscheider und Umsetzer in einer Person. Es gibt zudem den spontanen Heureka-Effekt, der Maschinen als Sensor-Aktor-Konstrukt fehlt. Von daher wird es ein Mensch-Maschine-Miteinander geben oder anders: jeder bekommt seinen Assistenz-Roboter. Wie eine Gruppe Menschen werden auch Roboter in Teams an einer Aufgabe arbeiten. Die Problemlösung liegt beim Menschen, die Umsetzung bei den Maschinen.
Wie schätzen Sie die Entscheidungskompetenz digitaler Systeme ein?
Maschinen entscheiden nach Faktenlage, nicht nach Gefühlen oder Abwägungen. Ethik bedingt ein Wertesystem und codierte Regeln. Die Abbildung dieser unterschiedlichen menschlichen Sinne ist sicherlich in neuronalen Netzen möglich, aus Kosten- und Kompatibilitätsgründen jedoch nicht durch digitale Systeme abzubilden. Vom Begriff Kompetenz abgeleitet ist der Ausbildungsgrad und Erfahrungsschatz auf ein unbelecktes Maschinenkonstrukt nicht vergleichbar. Sicherlich ergänzen und erweitern, sowie beschleunigen maschinelle Systeme den menschlichen Prozess, ohne ihn zu beherrschen.
Welchen Einfluss hat Automatisierung und Digitalisierung auf den Personalbedarf?
Nicht der Personalbedarf, sondern der Ausbildungsgrad wird stark ansteigen. Wie Fremdsprachen gehören Programmiersprachen ins Curriculum; dadurch wird es weiträumig möglich sein, besonders in der Produktion flexible Arbeitszeitmodelle anzubieten! Im Sinne einer, durch KI verfeinerten XYZ-Prognose, ist eine Glättung im Personalbedarf absehbar. Gleichzeitig sind on-the-job Trainings und Coachings parallel möglich (während der Arbeitszeit). Belastende Tätigkeiten können durch die Digitalisierung entfallen, so dass es keine Alters- oder Gender-Beschränkungen mehr geben muss. Je mehr Programmier-Standards, desto mehr Personalaustausch der Firmen untereinander.
Wie ändert sich Ihrer Meinung nach der Kompetenzanspruch an Mitarbeiter der Zukunft?
Der Anspruch an Kompetenz ist jeweils Personen-bezogen, sofern nicht durch vergleichbare Arbeitsplatz-Bedingungen eine Job-Rotation innerhalb von Abteilungen und Standorten ermöglicht wird. Change Management und lebenslanges Lernen sind unabdingbare Anforderungen; alles andere lässt sich anlernen (mittels MOOC). Es ist vorstellbar, dass durch die neue Transparenz Hierarchien in Macht und Entlohnung fallen und/oder egalisiert werden. Wir werden vermehrt zu Anwendern, derweil System-Architekten und Backend-Programmmierer sehr kompetent und gleichzeitig sehr gefragt sein werden.
Wie flexibel ist der Anlauf der Zukunft und werden Agilitätskonzepte unentbehrlich?
Wer Flexibilität und Eigenmotivation verlangt, hat schon heute Werkzeuge, wie SCRUM oder Kanban im Einsatz. Der grosse Vorteil ist der gleiche Wissensstand zur selben Zeit für alle Beteiligten. Das sagt natürlich noch nichts über neue Arbeits- und Informations-Strukturen gesamtbetrieblich aus. Nur wenn diese ebenso verzahnt sind und einem gemeinsamen Schema folgen, stellen sich – wie bei BPM – Erfolge durch Einsicht und Übersicht ein. Anlauf-Dynamik mag der Auslöser für Agilitätskonzepte sein, im Alleingang taugt sie jedoch nicht. Am besten im Status einer Werksnorm oder eines De-facto Industrie-Standards ist aussichtsreicher!
Bereiten Sie sich bereits auf die Implementierung von Industrie4.0 und ggf. agile Anlaufprozesse vor?
Ein klares JA und ein konsequentes JETZT. Nachdem ISO-Vergaben als Guideline oder Roadmap verblassen, sind im Projektgeschäft Projekt-Werkzeuge und -Verfahren zu erlernen. Zur Verbesserung bestehender und Aufsetzung neuer, offener Geschäftsmodelle zählt der Erstlings-Status. Intelligente Services und personalisierte Dienstleistungen sind Datenzentriert und bereits Grundlage von Industrie4.0 – aus unserer Sicht. Wir haben keine Zeit zu verlieren, sondern alle zu gewinnen! Hier spielt auch das vorgedachte Internet der Dinge mit M2M eine prägende Rolle….
Wie wichtig wird im Rahmen der Digitalen Transformation die Beziehung zum Kunden?
Vorreiter zu sein, kann den Markt und die Erwartungshaltung von Kunden nachhaltig, frühzeitig prägen. Wir geniessen diese Aufbruchstimmung, die neue Kräfte und Arbeitsformen erweckt. Der Sog der Transformation ist heilsam, alles in Frage zu stellen und sich neu zu positionieren. Er bedarf allerdings den Sprung ins kalte Wasser und der klaren Worte beim Kunden. Nur, wenn beide Seiten mitziehen, haben beide Seiten Vorteile! Und eine Beziehung wird dann zur (Entwicklungs)-Partnerschaft und zum Standort- und Wettbewerbsvorteil mittels Digitalisierung.
Welche Szenarien bezüglich der Gestaltung und Dauer von Entwicklungs- und Produktionszyklen sind für Sie denkbar?
Alle Grenzen und Begrenzungen fallen. Abgrenzungen durch geistiges Eigentum oder einseitige Vorteilsnahme sind nicht mehr denkbar. Skalen- und Skalierungs-Effekte sind nur in kompletter Freizügigkeit und Austauschbarkeit möglich. Das Betriebsklima wird zum Betriebssystem; die soziale Innovation zum Anknüpfungspunkt. Technologien, wie Blockchain machen Cluster-Bildung auf Vertrauensbasis für jedermann durchführbar. Entwicklungs- und Produktionszyklen variieren und bilden sich spontan, wenn der Nasenfaktor passt.
Welchen Effekt wird Industrie4.0 auf die Wirtschaftlichkeit von Anlaufprozessen (Kosten-Nutzen-Analyse) haben?
Wirtschaftlichkeit bedingt Optimierung und Mehrwert(e). Eine Wirtschaftlichkeitsrechnung mit einer mehrjährigen Kalkulation von Umsatz und Kosten wird unmöglich. Daher glauben wir, dass die Dimension Reifegrad innerhalb einer Kosten-Nutzen-Analyse bestimmend wird. Da Industrie4.0 einen starken IT-Fokus besitzt, wird CPS zum Drehpunkt aller Wirtschaftslichkeits-Überlegungen. Das Industrie4.0 Zielmdoell braucht eben Datenflüsse und Ökosystem. Auf dieser Basis sind Design Thinking Challenges und Wirtschaftslickeit digitaler Transformation (fast) ohne Fix- und Anlaufkosten zu bekommen ;)) Qed.
Welchen Effekt wird künstliche Intelligenz auf alle diese Entwicklungen haben? Es ist für uns interessant, wie wenig wir über uns und Maschinenlernen wissen. Angefangen von Klon-Versuchen, in Science-Fiction Filmen, wie Frankenstein bis hin zur Zwillingsforschung: immer das gleiche Dilemma. Was ist genetisches Erbe (Hardware) und was ist Erziehung (Software). Kann der Mitarbeitende durch Assistenten über sich hinauswachsen, sind Ausbildung und Erfahrung relevant oder kann dies im Sinne eines Nürnberger Trichters situativ aufgetankt oder abgerufen werden? Welche Instanz, Mensch oder Maschine, hat den Hut auf? In welcher Grammatik und Semantik wird miteinander kommuniziert? Und auch, lassen sich Regeln und Schlussfolgerungen verallgemeinern?
Sollte sich der Hardware-Ansatz als erfolgversprechend erweisen, so wären Investitionen in Elektronik und Infrastruktur notwendig, etwa zu Datenerfassung (z.B. Real-Time-Location-System). Auf den Dienstleistungs-Anteil entfielen: sehen, sprechen, hören, lernen – als Regelbasierte Algorithmus-Erstellung. Dieser Ansatz ist determiniert im Rahmen des Layout Frameworks; KI-Assoziationen bleiben unter ihren Möglichkeiten. Sollte der Software-Ansatz vielversprechender sein, so wären DIN- oder andere Normierungen im Dienstleistungs-Anteil und die Investition fest verbaute Corporate Apps, Bots und Wearables. In Art eines Diktiergerätes würden Gedanken, Protokolle und andere mitgeltende Unterlagen per Assoziation mit Vorgängen und Projekten verknüpft. Zufällige Aspekte und neue Erkenntnisse aus Big Data Analysen fliessen dann in die Entscheidungs-Matrix ein; Sprung-Innovationen wären möglich und bahnbrechend. Angefangen und abhängig von der Ist-Aufnahme von Problemfeldern, Prozess-Interaktionen und Grundlagen, sowie Definition der Begriffswelten ist die spätere Ausprägung als Hybrid-, Hardware- oder reine Software-Umsetzung denkbar. Hier zeigt sich, dass bereits die reine Begrifflichkeit „künstliche Intelligenz“ nach einer Abgrenzung zur „menschlichen Intelligenz“ mit seinen Facetten der spontanen Innovation notwendig ist. Kann eine Schaltung oder Roboter überhaupt lernen oder nur abarbeiten? Auf dem Skizzen-Tisch liegt nicht weniger als die Erforschung und Offenlegung von Datenstrukturen und Datenströmen im Unternehmen, in der Datenwolke und über Portale. Mithilfe der künstlichen Intelligenz kommen Prozesse und Strukturen auf den Prüfstand und Abteilungs- und Anwendungssystem-Grenzen könnten überwunden werden. Besonders der menschliche, kognitive Faktor wird durch Hilfs- und Erkenntnismittel der künstlichen Intelligenz zum multiplikativen Erfolgsfaktor im Produktionsumfeld.