Verantwortung ausüben anstatt Stellen verwalten
Ein grundlegender Aspekt, der unseren heutigen Marktanforderungen zugrunde liegt, ist die Zeit der Leistungserstellung und -verwertung. Der interne, wie externe Kunde verlangt die nachgefragten Produkte schnellstmöglich in einer geringen Stückzahl in hoher Qualität und mit bestmöglicher Produkt- beziehungsweise Kundenbetreuung. In einer nachfrageorientierten Unternehmensführung wird die Zeit – also die Leistungserstellung zum richtigen Zeitpunkt – zu unserem immer wichtigeren ökonomischen Faktor. Es ist die vorrangige Aufgabe einer strategischen Personalwirtschaft, die effektive Nutzung aller vorhandenen Möglichkeiten nutzbar zu machen. Die persönliche Zielsetzung unser Personalabteilung bedeutete daher mehr als blosse Motivation. Bei ihrem ehrgeizigen Programm, bei dem noch nicht alle Lösungswege im vorhinein entwickelt waren, brauchte es gerade diese kalkulierte Risikobereitschaft, also die Fähigkeit der Abteilungsleiterin und ihrem Team, Unsicherheit und widersprüchliche Informationen aushalten zu können. Es brauchte die (weibliche) Fähigkeit, zu überzeugen und bei Widerständen das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Fazit: wenn die einzelnen (nicht nur Personalabteilung) spüren, welchen Beitrag für ein sinnvolles Ziel sie leisten können, trauen sie sich selbst hochgesteckte Ziele zu. Unsere Personalleitung wusste zu diesem Zeitpunkt, dass Kostensenkung als Ziel ein solches Kriterium nicht erfüllt, ebenso wenig Reduzierung der Hierachie-Ebenen oder Umstrukturierung von Zuständigkeiten. Hier werden Zustände als Ziel avisiert, deren Beitrag zum Leistungsgeschehen nicht eindeutig sind. Hat man solche Ziele einmal umgesetzt, so ist man vielleicht einem Problem entronnen, hat aber die eigentliche Aufgabe noch vor sich. Ein Problem zu lösen, einen Fehler zu beseitigen ist weniger, als einen Leistungsmassstab zu erfüllen, der sich direkt auf den Zweck des Unternehmens bezieht und dynamisch ist, also ständig noch besser erfüllt werden kann. Unsere Personalabteilung setzte deshalb eine Dimension zu ihrer Zielsetzung Flexibilisierung von Zeit und Ort.
Denn das Leistungspotenzial des Produktionsfaktors Mensch kann eben nur dann effektiv genutzt werden, wenn es zur gewünschten Zeit im notwendigen Umfang abrufbar ist. Früher verhinderten starre Arbeitszeitregelungen bei uns eine ökonomisch sinnvolle Entkopplung von Arbeits- und Betriebszeiten. Durch den engagierten Einsatz unser Personalabteilung wurde der Flexibilisierungsgedanke bekannt gemacht. Dabei wurden einerseits die direkten Vorteile für unsere Unternehmensgruppe, andererseits die Vorteile des Personals herausgestellt. Zu betrachten war, dass sich Vorteile für das Freizeitverhalten unser Mitarbeiter in Form einer Wirkungskette mittelbar positiv für das Unternehmen auswirkten. Gerade ein derart motiviertes Personal in der Fertigung (Wertschöpfung) bedeutet heute einen eindeutigen Wettbewerbsvorteil. Bei uns konnte die Erhöhung unser Maschinennutzungszeit von 78 auf 110 Stunden die Auslastung der Kapitalanlagen um die Hälfte steigern. Allein durch diese schwingende 36-Stunden-Woche mit höherer Maschinenauslastung verminderte sich der produktbezogene Fixkostenanteil auf 50 Prozent. Bei gleichbleibenden Materialkosten bleibt dann ein Kostenvorteil durch Produktions-Teilzeit von rund 10 Prozent. Eine solche kundennahe Auftragsabwicklung ist auf unseren heutigen Käufermärkten eine Überlebensfrage; insgesamt kommt es durch den Kapazitätserweiterungseffekt mit Teilzeit und Coworking zu einer Betriebszeitenverlängerung mit insgesamt Gewinn- und Innovations-Zuwachs. Die Flexibilisierung hilft, den bisherigen Funktionsschwerpunkt des Mitarbeiters vom Besetzen einer Stelle hin zur Aufgabenerfüllung zu verlagern. Die Verantwortung für die eigene Arbeitsleistung wächst – für den Mitarbeiter steigt der Wert seiner Arbeitsinhalte. Er hat damit den grösstmöglichen Handlungsspielraum in Form eines Selbst-Managements. Dies fördert Motivation und Kreativität, denn er kann sich den persönlichen (Leistungsbereitschaft) und betrieblichen (Arbeitspotenzial) Situationen anpassen. Das Zusammenspiel von flexibler Fertigung und flexibler Arbeitszeit mit den Markterfordernissen (Kleinserien, Null-Fehler) ermöglicht es unseren Mitarbeitern, ihre Leistungsstärke zu den Zeiten zu aktivieren, für einen ökonomischen Umgang mit unserem Mitarbeiter-Know-how. Unsere, durch die Personalabteilung bewusst eingeleitete Kompetenzverlagerung nach unten, schaffte die Akzeptanz für Coworking und Identifikation mit den neuen Begriffswelten (Produktionsbreite, Lieferbedingungen, Kundenpräferenzen). Wie lässt sich nun die Beteiligung im Veränderungsprogramm, nach Schaffung der personalpolitischen Rahmenbedingungen, praktisch organisieren?
Veränderungen im Unternehmen unter Mitarbeiterbeteiligung
Sind Veränderungsprogramme Therapie an der Organisation oder sind sie Diskussionsprozesse wie in der Politik? Sie sind in der Tat etwas wie Therapien, insoweit sie Personen und der Organisation helfen, ihre Interessen zu erkennen und danach zu handeln. Sie sind auch Diskussionsprozesse, aber nicht wie in der Politik, bei der Kompromisse im Vordergrund stehen, sondern wie im Management, bei dem es auf den Konsens für dauerhaftes, gemeinsames Handeln ankommt. Veränderungsprogramme bedeuten immer auch ein Konfliktmanagement, denn bei vollständig gleichen Ansichten und Zielen würde die Spannung für Kreativität und Innovationen nie entstehen. Daher musste auch die Organisation des Beteiligungsprozesses Aufwand bedeuten. Als Faustregel aus unserem Change Management: der Zeitaufwand für Beteiligungsprozesse ist gleich hoch, wie der Zeitaufwand für inhaltliche Analysen, Bewertungen und Konzeptentwicklungen gewesen. Den Dialogprozess zwischen Mitarbeitern zu organisieren ist niemals selbst ein Veränderungsprogramm. Es soll eben nicht der umgekehrte Weg empfohlen werden, nämlich Prozesse zu organisieren, die nur der Beteiligung und Diskussion, selbst jedoch nicht mit voller Kraft dem Veränderungsziel dienen. So haben wir in den vergangenen Jahren zunächst versucht, in grossangelegten Beteiligunsseminaren unter der Verwendung vieler Pinnwände und dem Einsatz reiner Diskussionsmoderatoren betriebliche Problemstellungen zu lösen. Das scheiterte immer dann, wenn die (externen) Moderatoren diesen Diskussionsprozess zur Hauptsache machten. Dasselbe galt für die gruppendynamischen Ansätze: wer nur mit Prozessproblemen arbeitet, erntet weitere Prozessprobleme. Sie entstanden aus dem Ohnmachtsgefühl der nicht bewältigten Inhalte und unserem Verlust der Vision vom Ziel – wer nur auf Pinnwände schreibt oder wer nur Beziehungen zum Gegenstand macht, kann die wirkliche Diskussion nämlich abtöten. Das Gleichgewicht zwischen inhaltlicher Arbeit und Arbeit am Prozess ist somit seither bereits im Veränderungsteam abgebildet. Über emontionales Lernen, also Erfahrungslernen, wissen wir heute, dass es hier abgrenzbare Schrittfolgen gibt, die eine Gruppe genauso wie eine Person durchlaufen muss, um den Weg vom ersten Impuls bis zu einer konsequenten Aktion zurückzulegen.
Warum wurden die Verfahren zur Veränderung in unser Unternehmensgruppe so (gefühlt) langsam verbessert?
Entscheidungen, echte Entscheidungen, die Handeln auslösen, entstehen durch den emotionalen Prozess des Entschliessens. Dieser Kontakt mit unser neuen Situation ist so unverzichtbar für die Veränderung. Wir haben dazu seinerzeit Techniken, wie gelenkte Phantasie, Visualisierung in Gemälden und Ausprobieren durch Rollenspiel eingesetzt. Dazu kommt die Unsicherheit über das, was sich in Diskussionen mit Mitarbeitenden abspielt: was passiert, wenn offen widersprüchliche Positionen entstehen, wenn die Diskussion auszuufern beginnt? Widerstand ist noch nicht einmal negativ, denn er bedeutet Engagement und somit Energie. Der Feind der Veränderung ist allzuoft die fehlende Energie. Aus alldem folgt: Beteiligung ist unumgänglich, nachhaltiger Widerstand immer ein Zeichen, dass die Beteiligung zu spät oder zu unvollständig organisiert wurde. Andernfalls werden Projekte in Angriff genommen und nie beendet; Qualitätszirkel lösen Vorschläge, aber keine Ergebnisse aus. Die Folgen dieses Szenarios sind oft unabsehbar negativ – sie bestärken Zynismus im Unternehmen, die Grundannahme, dass man nichts verändern könne, und jeder Versuch, es doch zu tun, nicht mehr sei als Naivität oder Wichtigtuerei. Und Zynismus ist bekanntlich mächtig, denn er erhöht die Kosten jeder Initiative dort, wo sie noch schwach ist. Dafür gibt es gute Gründe. Beteiligung ist teuer, denn sie kostet Zeit vieler Mitarbeiter und besondere Energien der Initiatoren des Programms. Gerade die aber fühlen sich meistens mit den inhaltlichen Fragen der Veränderung ausgelastet, denn es sind neue Verfahren und Organisationsformen, neue Führungskonzepte und Verhaltensformen zu entwerfen, das Zeitbudget ist eng, und es werden von den Aufsichtsgremien schnelle, objektive, also verkauf- und präsentierbare Ergebnisse erwartet. Arbeit für Beteiligung wird daher klassischerweise minimiert.
Im Grunde illustriert unsere Beschreibung nur, wie grossartig Initiative, Umsetzung und Leistung von Beginn an, in der Personalabteilung war. Jeder Headhunter für Change Management müsste hier in der Praxis wildern. Misserfolge bei der Einführung von als dringend erkannten Änderungen sind leider so häufig, dass man nicht mehr von Ausnahmen sprechen kann. Die verschmähte oder brachliegende Kompetenz von Personalabteilungen muss als gleichgewichtigt zur Mitarbeitervertretung beurteilt werden.
Die Fabrik als Labor
Die Auseinandersetzung und das Initialisieren von Lernvorgängen setzt voraus, dass organisatorisches Lernen als Wettbewerbsfaktor erkannt wird und Lernziele über Benchmarks und Trendanalysen formuliert werden. Lernwille und Lernfähigkeit durch Gruppenorganisation, Visualisierung und gegenseitige Auditierung sind ebenso erforderlich wie offene Kommunikation, Umsetzungsdisziplin, funktionsübergreifende Kooperation, Risikobereitschaft und Leitlinien für kontinuierliche Verbesserungsprozesse. Nur die Unternehmen, die die Methoden, gestützt auf alle Mitarbeiter, schneller einführen und ihre Aktivitäten konsequent auf sich ständig ändernde Kundenbedürfnisse ausrichten, erlangen den Status des lernenden Unternehmens. Die erfolgreichsten Unternehmen werden diejenigen sein, die das schnellste Lernen verwirklichen und die Innovationen in allen Bereichen sofort umsetzen. Längerfristig werden grosse Unternehmen in kleine Einheiten zerfallen. Sie müssen dann zwangsläufig lernen miteinander zu kooperieren. Dazu sind gruppendynamische Lernprozesse unerlässlich, denn keine der Einheiten darf über die andere hierarchisch dominieren. Sie müssen lernen, sich gegenseitig anzuerkennen.
Unter Berücksichtigung dieser Zusammenhänge geht es im HR-Bereich vor allem darum, die Energie von innen zu mobiliisieren, indem lediglich gute Fragen gestellt werden: denkt mal über dies oder jenes nach. Das sind dann Anregungen, um Möglichkeiten oder Grenzen zu erkennen, Impulse zu geben oder Visionen zu fördern. Oder die HR-Abteilung moderiert, so dass klar wird, wo Konflikte blockierend wirken und der Teufelskreis erkannt wird, der das Team lähmt. Management by talking around als Zukunft unser HR-Bereiche ist bereits heute teilweise realisiert. Gerade weil unsere Wettbewerbsfähigkeit immer stärker vom Engagement und der Kreativität ebendieser Produktionsmitarbeiter abhängt: Potenziale liegen im Menschen. Nicht Maschinen, Anlagen, Standorte und Programme sind unsere Gewinnchancen der Zukunft, sondern nur die Mitarbeitenden, wenn wir ihre Entfaltung unterstützen und damit potenzielle Energien freisetzen. Wenn wir tun, was wir gerne tun, müssen wir erfolgreich sein.
Meist suchen auch wir für inituitive Entscheidungen rationale Begründungen, um sie anderen gegenüber zu rechtfertigen. Nur unsere Personalabteilung sagt bisweilen: Zu der Entscheidung stehen wir, weil wir wirklich das Gefühl haben, das ist die richtige Entscheidung. Andererseits hört man bei uns schon häufig die Redewendung, dass aus dem Bauch entschieden wurde, was letzlich das gleiche bedeutet. Ein Multiskilling ist nicht nur für HR-Mitarbeiter das Gebot der Stunde, sondern auch für Manager, die nachhaltig verändern wollen. Ihre Erfahrungen, ihre Einschätzung der Lage einschliesslich der persönlichen Vision von der Zukunft so mit Fakten und Daten zu kombinieren, dass eine tragfähige Entscheidung herauskommt. Im übrigen versuchen wir unsere Intuition zu sensibilisieren, indem wir uns Tagträume gestatten, die man uns als Kind irgendwann einmal abgewöhnt hat. Darin sind im übrigen die Japaner sehr bewandert. Zu dieser Methode gehört es, über etwas nachzudenken, indem man einfach innere Bilder entstehen lässt, etwas zu visualisieren. Sieht man das Bild vor sich, ist alles viel greifbarer. Da merken wir dann oft, was in diesem Bild nicht stimmt. Dinge, die wir vorher vielleicht rational durchdacht haben und ganz in Ordnung fanden.
Lernen, sich gegenseitig anzuerkennen
Eine (gemeinsame) Vision trägt dazu bei, die Lebensfähigkeit unser Unternehmensgruppe zu sichern und die Lebensqualität der Mitarbeitenden zu steigern. So verwandelt die Vision im Unternehmen Druck in Sog, innere Kündigung in Identität, Macht in Partnerschaft und Egoismus in Wir-Gefühl. Das heisst, alle Mitarbeiter werden einbezogen. So wurde aus der ursprünglichen Vision unser Personalabteilung nicht nur sachliche Realität, sie brachte auch Gefühle zum Ausdruck, zum Beispiel: Freude, Stolz, Spass an der Arbeit, Liebe zum Produkt und zum Kunden. Weil Gefühle Energien zum Fliessen bringen, klärt diese Vision die Beziehungen, den Umgang miteinander, sowohl intern in der Führung als auch innerhalb des Unternehmens und unserem Vorstellungsbild der Zukunft, das sich (mittlerweile) selbst erfüllt.