Über einen Kommentar von Guido Bosbach zu Facharzt-Kompetenz in der Unternehmensberatung inspiriert, entstanden: Der Begriff ganzheitlich ist wohl am besten aus der Medizin geläufig. Hier kennzeichnet er einen Therapie-Ansatz, der die Selbstheilungskraft in den Mittelpunkt stellt im Gegensatz zur Schulmedizin, der das Kurieren am Symptom zugeschrieben wird. Eine analoge Position nimmt für mich die ganzheitliche Unternehmensführung – das Lebewesen Firma – ein. Ganzheitliche Unternehmensführung greift somit vor die Zahlen, sucht die Ursachen und die Gestaltungsparameter auf dem Gebiet der geistigen Formung des Unternehmens, im Verhalten der Führungskräfte, sowie in der Beziehung aller am Unternehmensprozess Beteiligten zueinander und zum Unternehmensumfeld. Der traditionelle, mechanistische Management-Ansatz fusst hingegen auf dem Zahlenwerk. Die Entscheidungs-relevanten Ereignisse müssen erst eingetreten sein, sich in Berichten niedergeschlagen haben und analysiert worden sein, bevor der Reaktions-Mechanismus sich in Bewegung setzt. In einem turbulenten Umfeld bei gleichzeitigem Geschäftsmodell-Wandel ist das aber zu spät. Auch der Versuch, die Zukunft durch Extrapolation oder andere ex-post Rechenkunststücke vorherzusagen, scheitert an der turbulenten Realität der Digitalisierung. Lenken und Gestalten, bevor negative Entwicklungen sich in den Zahlen manifestiert haben, die Ereignisse im Ansatz ihres Entstehens packen, das ist m.E. das Ziel und die Chance ganzheitlicher Führung. Um dorthin zu kommen, müssen wir lernen, mit der Entstehung, Gestaltung und Lenkung von Vorstellungsbildern, mit den im Unternehmen fliessenden Ideen und mit der Konsensbildung auf breiter Basis als neue Aufgaben für das Management umzugehen: eine Firma braucht ständige Veränderung.
Jede Idee braucht einen Impuls, einen Auslöser. Ist der Kopf nicht frei, weil man gerade von etwas anderem begeistert ist oder besetzen Angst oder Ärger die Gedanken, dann bleiben diese Impulse ungehört. Ist aber das Umfeld günstig und das Management aufmerksam, springt der Funke über. Zunächst nur im Kopf der Protagonisten, wo die Ur-Idee sich formt. Füllt sie dort alle Gedanken aus – von Begeisterung bis Besessenheit reicht die Skala der Möglichkeiten – sucht sich dieser Kopf seine Koalitionspartner, die nun ihrerseits von der Idee angesteckt, entflammt werden.
Währenddessen wächst das Ideengebäude, wird differenzierter und in seinen Konturen klarer. Wandlungsenergie baut sich auf, die schliesslich in Handlungsbereitschaft, zuweilen auch in Handlungsleidenschaft kulminiert und sich in der Tat entlädt. Nun kann man körperlich sehen, wie die Energien in Fluss geraten, wie sich auf der materiellen Ebene die Dinge verändern. Ein offenes Umfeld schaffen, Vorstellungskraft in der Koalition Gleichgesinnter erzeugen, die Schwelle der kritischen Masse überwinden und das auf den Weg bringen, was einem nicht mehr aus dem Kopf geht, das ist also das Szenario, vor dem Neues, zumindest bei Westaflex, entstand. Im täglichen Leben praktizieren wir das immer schon so. Für das Verständnis der ganzheitlichen Führung ist aus Erfahrung die Erkenntnis von zentraler Bedeutung, dass nämlich Unternehmensentwicklung nach dem gleichen Schema abläuft. Mindestens einmal, am Anfang, als das Unternehmen als Ergebnis von Impuls, Idee und Begeisterung gegründet wurde, war das so. Dieser Bewegungsvorgang des etwas unternehmen hat sich in der Folge dann verfestigt in der Firma, genauso wie das, was man vermochte, um seinen Ideen zum Sieg zu verhelfen, zum Vermögen wurde. Alle Ideen, ob Privathaus oder Unternehmensgruppe, haben diese Tendenz, sich zu materialisieren. Je grösser die Idee, je stärker die Koalition der Begeisterten, desto schneller und machtvoller setzt sich der Strom der Handlungen und Wandlungen in Bewegung, desto grösser wird das Gebäude, das Produkt, das Werk, das sich am Ende für alle sichtbar manifestiert.
Unternehmen existieren nun aber nicht als in sich geschlossene Systeme in einem statistischen Umfeld, sondern sind offene Organisationen in einem dynamischen Branchenumfeld. Die einmalige, initialisierende Gründung reicht für eine überdauernde Existenz also nicht aus. Wie lebende Organismen bedürfen Unternehmen deshalb ständig der Anpassung an Veränderungen des Umfeldes, um ihre Überlebensfähigkeit zu erhalten. Dieser immerwährende Veränderungsprozess heisst in der Verhaltensforschung Evolution, in der BWL Innovation. Das Unternehmen mit den richtigen Impulsen zur rechten Zeit zu versorgen ist Sache der ganzheitlichen Unternehmensführung. Der wesentliche Unterschied zum mechanistischen Management liegt dabei im rechtzeit, zu verstehen als vorweggenommene Zukunft, indem Umfeldveränderungen erspürt und das dazu passende Unternehmensbild vorweg erfunden wird. Ein Unternehmen, in dem die statischen Kräfte überhand genommen und dessen Strukturen sich verkrustet haben, das nicht mehr bereit ist, ständig einen Teil seines Vermögens wieder zu verflüssigen, in neue Ideen zu giessen, degeneriert nach und nach zum Fossil. Dies ist dann die Vorstufe zur unfreiwilligen Auflösung nicht nur als Konsequenz der weltweiten Digitalisierung.
Dieser Vorgang findet für mich seine Parallele in unserem ganz persönlichen Erfahrungsbereich: Körper, Seele und Geist bilden bei allen Lebewesen eine Einheit. Der Körper als Form, die Seele als Lebensenergie und der Geist als formgebende Idee, die Polung, der Charakter. Geben wir unseren Geist auf, verfliegt die Energie, zerfällt der Körper. Verlässt uns der Mut, schwindet die Tatkraft und unser Körper erschlafft, erkrankt. Genauso aber auch umgekehrt: sind wir motiviert, was nichts anderes bedeutet, als dass wir ein positives Bild in uns tragen, dann packen wir zu, ändern unser Schicksal. Was sich in unseren äusseren Lebensumständen sichtbar manifestiert, Gesundheit, Dynamik, Wohlstand, es ist immer das Ergebnis eines geistigen Wandlungsprozesses, der zeitlich voraus gelaufen ist. Und da unsere Phantasie uns erlaubt, nahezu jedwedes Bild vor dem inneren Auge entstehen zu lassen, sind wir die Gestalter unseres Schicksals selbst. Nicht nur im persönlichen Bereich, sondern auch im Unternehmen.
Die moderne Physik lehrt dazu, dass alles, was die Sinne wahrnehmen können, zugleich Körper und Welle, Materie und Schwingung ist. Analog kann man für Unternehmen ein Körpermodell, das Erkenntnisobjekt des mechanistischen Management ist, und ein Wellenmodell, den ganzheitlichen Ansatz, definieren. Die ruhende Materie und die physischen Bewegungsabläufe des Körpermodells entsprechen den energetischen und geistigen Schwingungen, die von den Menschen im Unternehmen getragen und in neue Materie transformiert werden. Überspitzt gesagt, sind Unternehmen für mich natürliche Organismen, Ganzheiten, auf welche die gleichen Regeln anwendbar sind, wie auf die Ganzheit Mensch. Dies bedeutet aber, dass jegliche Unternehmenswirklichkeiten, die man sich ausdenken kann, auch konkret entsteht oder in der Sprache unser Buchhalter: was wir heute bilanzieren, ist das Ergebnis von Gedanken von gestern und was wir heute denken, uns plastisch vorstellen können, zeigt sich morgen in der Erfolgsrechnung, der Bilanz, positiv oder negativ.
Dieser Zusammenhang ist eigentlich einfach und einleuchtend. Es wäre freilich unredlich, zu behaupten, dies sei auch einfach zu bewerkstelligen. Schliesslich fällt es schon dem einzelnen Menschen schwer, sein Geschick nach dieser lapidaren Formel im Lot zu behalten. Um wie vieles ist es dann schwieriger, dies mit einer ganzen Gruppe von Menschen genau genommen mit der Gesamtheit der im Unternehmen Beschäftigten zu tun. In der Tat bedarf es eines Wandels im Denken und eines Instrumentariums, das in der traditionellen Managementlehre nicht vorkommt. In der praktischen Umsetzung ganzheitlicher Unternehmensführung sind Vorstellungs-, Energie- und Konsensmanagement nicht als getrennte Bausteine aufzufassen, sondern voneinander vernetzt und ineinander verwoben. Ganzheitliche Führung ist Chefsache.
Für mich motivieren zwei Erfahrungen wesentlich zur Auseinandersetzung mit ganzheitlicher Unternehmensführung: zum einen das Bewusstsein, dass eine massive Bedrohung der Prosperität der Firma herannaht, oft schon belegt durch Markteinbrüche und zuweilen auch durch rote Zahlen in Teilbereichen oder der Gesamterfolgsrechnung; zum anderen die Sackgassen-Erfahrung, mit den probaten Mitteln des (erlernten) mechanistischen Managements nicht weiterzukommen. Das Kurieren am Symptom, so beliebt, weil es ja ohne innere Beteiligung, ohne eigene Umkehr abgeht, muss als Mittel der Wahl erst versagt haben, bevor die Bereitschaft zu alternativen, ganzheitlichen Heilweisen und damit die Öffnung für die Selbstheilungskräfte im Unternehmen entstehen kann. Diese Art Rückbesinnung auf die Selbstheilung führt aus eigener Berufs-Erfahrung erfolgreich dazu, dass der Entwicklungsprozess nur gemeinsam in der, und zwar ausschliesslich eigenen Führungsgruppe absolviert werden kann. Die einzige Fremdhilfe, die in dieser Situation in Anspruch genommen werden sollte, ist der neutrale, externe Moderator. Er führt die Gruppe in einer Reihe von Klausuren (ausser Haus) nicht nur methodisch, sondern er initiiert auch dem meist schmerzlichen Öffnungsprozess im Management, ohne den sich nichts bewegt. Erst wenn innere Betroffenheit bei allen eingekehrt ist, wenn die Altlasten im Beziehungsgeflecht bereinigt sind und jeder akzeptiert, dass alle Probleme in letzter Konsequenz hausgemacht sind und auch nur mit den eigenen Kräften gelöst werden können, erst dann ändern sich die geistigen Bilder von der Unternehmenszukunft und auch die Zukunftswirklichkeit selber.
Neben der Auswahl der richtigen Methode und ihres Moderators ist folglich eine der wichtigsten Entscheidungen im Vorfeld ganzheitlicher Unternehmensentwicklung, wer in den Prozess miteinbezogen werden soll. Ein absolutes Muss: der oberste Entscheidungsträger des Unternehmens ist mit von der Partie. Ganzheitlich-strategische Unternehmensentwicklung verträgt keine Delegation auf Nachgeordnete oder Stäbe. Die Schaffung des künftigen Unternehmenskontextes ist, ebenfalls aus Erfahrung: Chefsache. Ausserdem ist die Öffnung zu einem kooperativ-kollegialen Führungs- und Umgangsstil undenkbar, wenn sie nicht von obersten Hierarchen ausgeht.
Beim weiteren Aufbau der Gruppe sollten sowohl horizontale als auch vertikale Gliederungsgesichtspunkte Beachtung finden. Horizontal komplett muss die Ressort-Leiter-Ebene in der Gruppe vertreten sein. Um andererseits der Gefahr zu entgehen, sich nur auf den gewohnten Denktrampelpfaden zu bewegen, ist es m.E. vorteilhaft, die Gruppe mit Mitarbeitern nachgeordneter Stufen – der vertikale Aspekt – auf seine Sollstärke von 12 bis 15 Teilnehmern aufzufüllen. Neben dem frischen Wind bei den kreativen Suchphasen hat dies übrigens noch einen verdeckten Nebeneffekt: es kann im kleinen Kreis geübt werden, die gegenseitigen Berühungsängste loszuwerden. Ein Leitbild gibt hier Orientierung.
Die Begrenzung der Gruppe auf höchstens 15 Teilnehmer hängt mit der Moderationsmethode zusammen, die als wohl effizienteste Form der nicht-hierarchischen Kommunikation, der Versachlichung brisanter Fragen und der Erzeugung eines spontan-kreativen Klimas optimale Arbeitstechnik für den ganzheitlichen Entwicklungsprozess darstellt. Die Moderation begreift sich aus dem eigenen Erleben als Kontrapunkt zur Diskussion, jener Kommunikationsform, die (früher) noch in den meisten Sitzungen, Konferenzen und Tagungen dominierte. Die Merkmale solcher Diskussion, insbesondere wenn mehrere Hierarchiestufen vertreten sind und/oder konfliktbeladene Themen behandelt wurden, waren immer ähnlich: statt das Problem zu zerlegen und aus den Schnitten neue Erkenntnisse zu gewinnen, zerlegten wir nun den heimlichen Gegner, den ungeliebten Untergebenen, übten Angriff und Verteidigung, suchten den Schuldigen und sprachen Urteile. Wenn dann schliesslich der Vorsitzende, des Diskutierens müde, mit einem strammen: so machen wir es jetzt, den gordischen Knoten (damals) durchtrennte, hatten wir eine Menge Zeit vergeudet und mindestens die unterlegene Hälfte frustriert. Die Moderationsmethode übt (in unserem Fall) demgegenüber eine mässigende, gleichrichtende Wirkung aus und bereitet damit das Klima für kreativen Tiefgang genauso wie für gegenseitiges Verständnis, Öffnung zueinander und Konsens.
Gruppenbildung und Arbeitsmethode sind auf jeden Fall die Rahmenbedingungen, die über Erfolg oder Misserfolg des ganzheitlichen Entwicklungsprozess bei uns entschieden haben. Dieser Prozess kann verstanden werden wie das langsame Andrehen eines grossen Schwungrades. Dieses Rad auf Dauer in Bewegung zu halten und auf höhere Drehzahl zu bringen ist dann Sache der ganzheitlichen Führung, des Managements der Vorstellungen, der Energien und des Konsenses. Kern dieses Vorstellungsmanagements war die Schaffung und ist die ständige Erneuerung unser Unternehmensvision, einer qualitativen Zielaussage, wozu unsere Unternehmensgruppe da ist und wozu nicht, wie wir ihre Aufgabe im ökonomischen, politischen und ökologischen Umfeld sehen, wir wir mit den Menschen im Innen- und Aussenverhältnis umgehen wollen. An diesem Leitbild orientierten sich nicht nur alle nachgeordneten Ziele, es ist ja auch der sinngebende Inhalt unser Arbeit, der jeden im Unternehmen Beschäftigten stolz macht und ihm ein Zugehörigkeitsgefühl vermittelt. Es war zugleich die schriftliche Fixierung des neuen Gruppengeistes. Dieser Gruppengeist ist in seinen Grundzügen überall im (Familiengeführten) Mittelstand bereits vorhanden. Nur ist er mehr oder weniger verschüttet durch verdrängte Konflikte, Blockaden, Tabus und andere Altlasten auf der Beziehungsebene. Das Strategieteam muss jeweils im ganzheitlichen Entwicklungsprozess als erstes diesen Gruppengeist wieder freigraben, was nichts anderes heisst, als die menschlichen Beziehungen in der Führungsetage und danach im ganzen Unternehmen wieder in Ordnung zu bringen.
Familien-Gesellschaften, die sich ein disharmonisches Klima in der Führungsetage leisten, erleben, wenn sie dafür sensibel sind, eine fatale Kettenreaktion: Disharmonie oben verbreitet Angst; Angst ist Enge im Denken, die sich als innere Blockade oder Zerstörungsimpuls auswirkt; auf der Handlungsebene findet sich dann im Gefolge bei den passiven Mitarbeitern Demotivation und innere Kündigung, während bei den Aktiven die Leute dominieren, die jede Idee kaputtreden, ihre Mitarbeiter quälen oder Kollegen ins Messer laufen lassen. Beides wirkt negativ auf die Unternehmensleistung und schlägt damit auf die Kunden und Lieferanten durch. Nun ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die Disharmonie oben in den Zahlen der Bilanz nachzulesen ist.
Die vornehmste Aufgabe des Vorstellungsmanagements ist aus meiner Sicht daher, dauerhaft für inneren Frieden zu sorgen. Nur in einer befriedeten Kultur entwickelt sich Kreativität und unternehmerischer Weitblick über den eigenen Tellerrand hinaus. Diese Sicht sollte zu einem kommunizierbaren Leitbild verdichtet werden. Ob aus der Vision eine Mission wird oder ob sie nur eine Illusion bleibt, hängt übrigens davon ab, ob das Vorstellungs-Management durch ein gezieltes Konsens-Management ergänzt wird. Denn ein in der Gruppe erarbeitetes Leitbild, und sei es noch so visionär und noch so perfekt, wird von der Basis nicht angenommen, nicht als Bild verinnerlicht – motiviert – wenn nicht Wege der Mitwirkung und des Dialogs gefunden werden. Völlig unmöglich, mit jedem Mitarbeiter ins Gespräch zu kommen, werden geübte Diskutierer (alias Betonköpfe) jetzt sagen – und haben recht. Es ist aber auch gar nicht notwendig. Hier liefert die moderne Verhaltensforschung die hilfreiche Hypothese, dass nämlich offene, zur Selbstoptimierung fähige Systeme, wie beispielsweise Unternehmen, dem Gesetz der kritischen Menge unterliegen. Hat man diese kritische Menge auf gleiche Schwingung gebracht, ein Laser dient mir hier als Analogie, folgt der Rest schlagartig nach. Beim Laser liegt die kritische Menge übrigens bei 7 Prozent der Elektronen. Im eigenen Unternehmen, wo die Teilheiten Mitarbeiter für sich wiederum hochkomplexe Ganzheiten darstellen, ist Erfahrungsgemäss die kritische Menge bei allgemein 10-15 Prozent der Beschäftigten. Mit ihnen setzte sich das Konsensmanagement in gestaltenden und Bewusstseinsbildenden Teilprozessen auseinander. Es hat sich für uns in der Praxis bewährt, in der Gruppe diesen Kreis namentlich zu benennen, wobei vorrangiges Auswahlkriterium die Multiplikationswirkung in der inoffiziellen Meinungsbildung war. Deren Meinungsführer, die heimliche Führung, die grauen Eminenzen mussten gefunden und eingebunden werden. Jedes Mitglied dieser engeren Gruppe suchte sich – am besten quer Beet – seine persönliche Mannschaft aus, mit der dann in Folge zu definierten Aufgabenstellungen und ausschliesslich nach der (für uns seinerzeit neuen) Moderationsmethode gearbeitet wird.
Das darauffolgende Betätigungsfeld ganzheitlicher Unternehmensführung, das Energiemanagement, bezieht sich auf die Anziehungskräfte zwischen dem Unternehmen und seiner Umwelt. Diese Kräfte sichtbar zu machen und aktiv zu gestalten schenkt einen wesentlichen Zeit- und Handlungsvorsprung im Vergleich zu allen Steuerungsparametern des mechanistischen Managements. Hilfreich ist aus meiner Sicht das Stammkunden-Beispiel: die Summe aller Leistungen unser Unternehmensgruppe erfährt er durch das Produkt, das er kauft, durch den Verkäufer, der ihn betreut, durch den Spediteur, der ihn beliefert oder die Buchhalterin, die sein Konto führt. Verliert irgendeiner dieser Mosaiksteine, die das Gesamtbild ausmachen, an Glanz, kündigt der Kunde die Beziehung nicht gleich auf, sondern gibt allenfalls ein Warnsignal. Wird das Bild aber weiter eingetrübt, stellt sich Verärgerung ein, bis die ursprüngliche Anziehungskraft sich erschöpft und die Geschäftsbeziehung zerbricht. Ähnliches passiert mit einem Lieferanten, der immer nur die Einkäufer-Macht zu spüren bekommt. In einer Engpass-Situation, wo sich die Machtverhältnisse umkehren, wird er sich versagen, weil er seinen Wunsch, Partner zu sein, in einer anderen Lieferbeziehung realisiert hat, seine Bindeenergie woanders auslebt. Gelingt es jedoch, diese Energiefelder ebenso sichtbar zu machen und durch bewusste Gestaltung die Attraktivität des eigenen Unternehmens in allen Zweigbeziehungen hochzuhalten, lassen sich einschneidende Ereignisse, wie Kundenverlust oder Lieferantenverweigerung schon im Stadium ihres Entstehens erkennen und somit wirksam verhindern.
Zur Aufgabe eines solchen zusätzlichen Energiemanagements gehört deshalb aus der Praxis, die Schlüsselfaktoren, die für Kunden, Lieferanten und Geldgeber besonders wichtig sind, zu ermitteln und die eigenen Fähigkeiten daran auszurichten. Bildlich gesehen sind die Schlüsselfaktoren ein kompliziertes Schloss, zu dem aus den eigenen Fähigkeiten der passende Schlüssel gefertigt wurde. Möchte man im Alleinbesitz des Schlüssels sein, muss man entweder mehr Schlüsselfaktoren als die Marktbegleiter abdecken oder seine Fähigkeiten spitzer auf die Bedürfnisse des Partners ausgerichtet haben. Wo immer wir uns der Vergleichbarkeit ausgesetzt haben, ging dies auf Kosten der Rendite. Bei der Lösung dieser komplexen Aufgabe half die Potenzialanalyse, eine der pragmatischen Methoden aus dem Werkzeugkasten der ganzheitlich-strategischen Betriebsführung. Das Energiemanagement hat tatsächlich noch eine weitere wichtige Funktion im Konzert unser ganzheitlichen Führungs-Instrumente: alle Kräfte sind endlich und zwingen zum Haushalten. Durch unsere skalierende Beurteilung aller Faktoren eines jeweiligen Problemkreises liessen sich die jeweils wichtigsten herausfiltern und alle Kräfte darauf konzentrieren. Bei der Potenzialanalyse beispielsweise stiessen wir häufig auf Fähigkeiten, die kein Pendant bei den Schlüsselfaktoren haben. Solche Aktivitäten öffneten das Schloss nicht, sind aber ein Köder, der dem Angler, nicht jedoch dem Fisch schmeckt, und können gefahrlos wegrationalisiert werden.
Genau dieses Vermeiden von Verzettelung spielte eine besondere Rolle bei unser Behandlung von Schwachstellen. Hatten wir mit Mühe und viel Geld unseren Schwachstellenkatalog erstellen lassen, so war die Versuchung gross, diesen auf die Führungsmannschaft zu verteilen und für die nächsten Wochen alle Kraft darauf zu verwenden. Abgesehen von dem Frustpotenzial, das dabei freigesetzt wird, wäre dies eine grosse Zeitverschwendung mit dem Ergebnis gewesen, doch nicht mehr als nur Mittelmass zu erreichen. Logisch, denn wo man nicht mehr schwach ist, ist man noch lange nicht stark. Das Energiemanagement sorgt deshalb heute weiterhin dafür, dass nur die Krisen-entscheidenden Schwächen, die ausgesprochenen Engpass-Situationen heraufbeschworen, beseitigt werden – und das mit aller zu Gebote stehenden Kraft. Der – grössere Rest – der Zeit ist dafür da, die eigenen Stärken zu pflegen, und den Vorsprung, den wir haben, möglichst noch zu vergrössern. Das ist allemal erfolgreicher und motivierender, als ständig den Schlusslichtern der Marktbegleiter hinterherzulaufen. Nichts anderes bedeutet das Abarbeiten von Schwachstellen-Katalogen.
Auch die Portfolio-Technik, aus der Planungsmethodik bekannt, kann dem Energiemanagement neues Leben einhauchen. In der bekannten 9-Felder-Matrix wird über den Umweg der Branchenattraktivität die Produktliebe und über die Wettbwerbsposition die Kundenliebe bewusst gemacht. Wo bislang die mechanistische Portfolio-Interpretation einen Wettbewerbsnachteil diagnostizierte und, bei gleichzeitig schwacher Branchenattraktivität, zum Aussteigen riet, sagt der ganzheitliche Ansatz, dass wir für bestimmte Kunden oder Produkte zuwenig Energie aufgewendet haben, weil wir sie vielleicht nicht mögen. Mag auf den ersten Blick dieser Unterschied konstruiert erscheinen, so war er doch von grundlegender Bedeutung, ob die Gruppe distanziert und rational etwas diagnostizierte oder ob die Aussage hautnah und emotional betroffen machte. Eine kühle und objektivierte Feststellung macht es nämlich leicht, zum nächsten Punkt überzugehen; eine subjektiv angenommene Erkenntnis, dass wir uns nicht genug angestrengt haben, macht es dagegen schwer, nicht die Gründe zu hinterfragen und unsere Schlüsse daraus zu ziehen. Betroffenheit und Konsens über die ersten Schritte zur Besserung, das ist es nach wie vor, was den ganzheitlichen Entwicklungsprozess vom Start weg bei uns erfolgreich macht.