Interview mit dem Rechtsanwalt Dr. Thorsten Graf, Herford
– Dr. Thorsten Graf ist Rechtsanwalt mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Internet-Recht. Für die IHK hält Vorträge zum Thema „Recht im Web 2.0“ http://tinyurl.com/6yjvj6k; der nächste Vortrag ist für den 05. Oktober 2011 in Minden geplant.
Als PR-Beraterin beschäftige ich mich laufend mit rechtlichen Aspekten der Kommunikation im Web 2.0. Das Thema ist für Unternehmen und Berater außerordentlich wichtig und vielschichtig. Für einen erfolgreichen Start in’s Social Web gilt es für Unternehmen, die rechtlichen Rahmenbedingungen einzubeziehen und zu berücksichtigen. So lassen sich Probleme vermeiden und optimale Rahmenbedingungen für die Kommunikation schaffen.
Ich habe Herrn Dr. Graf in der letzten Woche in seiner Kanzlei in Herford getroffen und mit ihm über Recht im Web 2.0 gesprochen:
Herr Graf, wie würden Sie das Web 2.0 aus Ihrer Perspektive als Rechtsanwalt definieren?
Dr. Thorsten Graf: Das Web 2.0 fasst neue, sehr populäre Internetplattformen zusammen, bei denen die Anwender eine zentrale Rolle spielen. Sie vernetzen sich, veröffentlichen, teilen Inhalte und stellen selbst Informationen, Bilder, Videos und mehr ein – User generated content spielt eine zentrale Rolle.
Dabei steht die Technik eher im Hintergrund und die Art der Nutzung im Vordergrund. Prägnante Beispiele für das Web 2.0 sind aus meiner Sicht Wikipedia, Social Networks, Social Bookmarking-Dienste oder Weblogs.
Was sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Merkmale im Unterschied zum „alten Internet“, dem Web 1.0?
Dr. Thorsten Graf: Im Web 1.0 stand der Internetauftritt der Unternehmen im Vordergrund. Dabei handelte es sich anfangs – vielleicht ab Mitte der 90er Jahre – sehr häufig um eine reine Visitenkarte, die immer weiter ausgebaut wurde zu Imageauftritten und Unternehmensauftritten mit sehr umfangreichen Informationen.
Im Web 1.0 gab es im Verhältnis nur wenige – Unternehmen und Personen – die Informationen bereit gestellt haben, im Web 2.0 sind es unübersehbar viele.
Warum sollte sich ein Unternehmen mit den rechtlichen Rahmenbedingungen im Web 2.0 beschäftigen?
Dr. Thorsten Graf: In einem aktuellen Fall hat ein Mandant die Erfahrung gemacht, dass auf einer Bewertungsplattform falsche, negative Informationen über ihn eingestellt wurden. Der Betreiber der Plattform war zunächst nicht bereit, die Informationen zu löschen und wir mussten gerichtlich gegen ihn vorgehen. Erst dann war der Betreiber bereit, die Richtigkeit der Information zu überprüfen und sie zu löschen.
Dieser Fall zeigt, dass ein Unternehmen auch dann von Äußerungen oder Bewertungen im Web 2.0 betroffen sein kann, ohne dort selbst aktiv zu sein. Es ergeben sich also Risiken, die Unternehmen beobachten sollten.
Gilt im Internet das gleiche Recht, das wir sonst gewohnt sind?
Dr. Thorsten Graf: Generell gilt im Netz das gleiche Recht wie im tatsächlichen Leben. Allerdings ergeben sich im Internet neue Sachverhalte, auf die das „alte Recht“ nicht ausgerichtet ist. So betreten wir immer wieder Neuland und müssen viele Fälle über Jahre beobachten, bis durch höchstrichterliche Entscheidungen des BGH oder EuGH (Europäischer Gerichtshof) Rechtssicherheit entsteht.
Welches sind die wichtigsten Rechtsbereiche, die Unternehmen im Web 2.0 berücksichtigen müssen?
Dr. Thorsten Graf: Die zentralen Rechtsbereiche sind das Markenrecht, Wettbewerbsrecht, das Urheberrecht aber auch das Recht am eigenen Bild. Betrachtet man die Internetnutzung im Rahmen des Arbeitsverhältnisses spielt auf jeden Fall auch das Arbeitsrecht eine Rolle.
Welche Rolle spielen die allgemeinen Geschäftsbedingungen und Nutzungsbedingungen der Plattformbetreiber und sozialen Netzwerke, wie z.B. Facebook?
Dr. Thorsten Graf: Die Geschäftsbedingungen und Nutzungsbedingungen der Plattformbetreiber spielen eine wichtige Rolle und bilden – sobald der Nutzer ihnen zustimmt – den rechtlichen Rahmen. Das heißt auch, dass sich diese Rahmenbedingungen nicht immer am deutschen Recht orientieren.
Beim Thema Datenschutz gibt es z.B. Plattformen, die das deutsche Datenschutzrecht weitgehend akzeptieren, wie z.B. Amazon, Ebay, StudiVZ, SchülerVZ oder Xing. Auf anderen Plattformen wie z.B. Google, Facebook, Twitter oder YouTube gibt es dagegen starke Abweichungen – das ist durchaus kritisch zu sehen.
Was gilt dort, wo sich die Bedingungen der Plattformbetreiber bzw. sozialen Netzwerke nicht mit dem nationalen Recht vertragen?
Dr. Thorsten Graf: Generell gilt für Netzwerke, die in Deutschland betrieben werden, deutsches Recht. Dort wo der Nutzer mit den Bedingungen der Plattformbetreiber nicht übereinstimmt, hat er selbstverständlich die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen oder sie unter Vorbehalt anzuerkennen. Das ist allerdings nur eine Option, die sich in der Realität leider meist nicht mit der Nutzung vereinbaren lässt. Ein faktisches Problem besteht auch darin, dass der Nutzer den Betreiber beispielsweise auf den Cayman-Inseln kaum verklagen kann.
Sind diese Fragen für Unternehmen, die nicht in sozialen Netzwerken aktiv sind, zu vernachlässigen?
Dr. Thorsten Graf: Die individuelle Betroffenheit kann sehr schnell eintreten – auch dann wenn Unternehmen nicht im Web 2.0 aktiv sind. Allgemeine Fragen des Rechts der neuen Medien – Impressumpflicht, allgemeine Geschäftsbedingungen oder Haftung für fremde Inhalte – sind von allen Unternehmen zu beachten, die sich im Internet bewegen.
Zusätzlich sollte der Geschäftsführer eines Unternehmens sehr genau überblicken, welche Aktivitäten das Unternehmen oder Einzelne im Namen des Unternehmens im Web entfalten. In vielen Konstellationen des Markenrechts, Wettbewerbsrechts oder Urheberrechts haftet er persönlich für Verstöße.
Was empfehlen Sie Unternehmen oder Personen, die ihre Rechte im Web 2.0 verletzt sehen?
Dr. Thorsten Graf: Am einfachsten ist es, wenn Betroffene einen Anwalt, der sich in diesem Fachgebiet auskennt, mit der Prüfung der Rechtsverletzung betrauen. Im Rahmen einer Erstberatung mit festem Honorar ist das häufig zu günstigen Kosten möglich und erspart dem Mandanten aufwändige eigene Recherchen. Die Kosten einer Abmahnung, die hierdurch vermieden werden könnte, belaufen sich schnell auf mindestens 600,00 EUR.
Natürlich stehen auch im Internet umfangreiche und zum Teil sehr gute Informationen zur Verfügung. Schwierig ist es allein, die zu dem eigenen Fall passenden Informationen zu finden, richtig zuzuordnen und zu bewerten. Das ist selbst für einen Experten aufwändig.
Ich nehme an, dass ein Rechtsanwalt ein Problem schneller und differenzierter prüfen kann und für seinen Mandanten dann das weitere Vorgehen und die Erfolgsaussichten einschätzen wird. Und der Anwalt haftet für seine Beratung, bietet dem Mandanten so also eine Absicherung.
Wo können sich Unternehmer und Unternehmen informieren: Gibt es empfehlenswerte Online-Angebote und welche Vorteile hat eine individuelle Beratung?
Dr. Thorsten Graf: Oft lohnt es sich, eine Empfehlung einzuholen oder im Netzwerk zu fragen. Wer online suchen möchte, findet beim DAV (Anmerkung: Dt. Anwaltverein http://anwaltauskunft.de/anwaltsuche) eine gute Suchmaschine, mit der Rechtsanwälte mit dem gewünschte Fachgebiet gesucht werden können. Über den klassischen Weg der Gelben Seiten oder über Google funktioniert es natürlich auch. Am besten orientiert man sich an den Rechtsgebieten, Internet-Recht, Urheberrecht oder Markenrecht.
Sind Sie selbst in Web 2.0 aktiv?
Dr. Thorsten Graf: Noch nicht bei Facebook :). Sie finden mich im Business-Netzwerk Xing (Anmerkung: www.xing.com/profile/Thorsten_Graf) und unter www.ra-dr-graf.de. Unter meinem Internetauftritt habe ich auch einen Blog, mit dem ich aktuelle Urteile aufnehme und erläutere – es lohnt sich, dort mal vorbeizuschauen.
Vielen Dank, Herr Dr. Graf, für das ausführliche Gespräch.
Rechtsanwalt Dr. Thorsten Graf
Seit 1999 ist Dr.Thorsten Graf als Rechtsanwalt in Herford niedergelassen. Als Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz beschäftigt er sich vor allem mit den Rechtsgebieten Markenrecht, Wettbewerbsrecht, Urheberrecht und Geschmacksmusterrecht. Ein Tätigkeitsschwerpunkt liegt auf dem Internet-Recht. Dort bietet Dr. Thorsten Graf Mandaten Beratung und Unterstützung in allen Rechtsfragen an, die das Web 2.0 betreffen.
Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit ist Dr. Thorsten Graf in der Initiative Wirtschaftsstandort Kreis Herford und in verschiedenen anderen Netzwerken aktiv.
Link-Empfehlungen zum Thema „Recht im Web 2.0“
Urheberrecht im Alltag. Kopieren. Bearbeiten. Selber machen.
Aus der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Nr. 655, 2. Auflage (2008). Als PDF-Dokument unter http://tinyurl.com/69m97v
Linkhaftung auf Twitter: Das sagt der Anwalt dazu [Interview]
Robert Basic interviewt Rechtsanwalt Henning Krieg zum Thema Linkhaftung. Online unter http://tinyurl.com/2dc8tez
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Beitrag im Blog des Rechtsanwalts Dr. Carsten Ullbricht. Online unter http://tinyurl.com/5wmdda7