So ein Osterei ist in jeder Hinsicht ein grosser Formklassiker in dieser Welt. Anzufügen sind in dieser Betrachtung mindestens drei Dinge: erstens – eine Eierschale ist knapp einen halben Millimeter dick. Wenn sie doch ziemlich stabil ist, dann, weil Druck von aussen sich auf der konturlos-einheitlichen Oberfläche perfekt verteilt. zweitens – Mathematiker bemühen sich offenbar seit Jahrhunderten, eine mathematische Formel für die Osterei Form zu finden. Bisher sind sie gescheitert. Die Eiform ist nicht definiert wie beispielsweise Kreis und Ellipse, sie bleibt Mythos und Mysterium. Und drittens – ein Straussenei hat einen Durchmesser von 15 Zentimetern und wiegt gut anderthalb Kilo. Der glatte und helle Gegenstand lud vor der Erfindung des Papiers dazu ein, darauf zu zeichnen. Und so verziehren schon die Strausseneier der Steinzeit Schmuckelemente und Gravuren.
Haben wir die umfassende Genialität und Magie der Eier erst einmal bedacht, gibt es an Ostern eigentlich bloss ein Problem: man getraut sich fast gar nicht, dieses Wunderwerk schnöde zu vertrümmern und zu essen. Ehrfurcht ist jedenfalls angebracht – behandeln wir das Ei mit Respekt. Und doch ist das Osterei noch einmal höher zu rangieren – es ist schlicht vollkommen. Nicht von ungefähr haust in der Mythologie der Hindus der Gott Brahma in einem goldenen Ei. Als er es verlässt, baute er aus den zwei Schalenhälften den Himmel und die Erde. Das Ei ist in kosmischer Hinsicht der Erdkugel also mehr als ebenbürtig.
Wobei unsere Erdkugel mit ihrem Namen ein kleines Problem hat: sie ist nicht wirklich eine Kugel, sondern leicht länglich. Sie tendiert zum Ei. Und wenn wir die zwei ähnlichen Objekte zoologisch betrachten: Tierkundler weisen uns daraufhin, dass kugelförmige Eier viel zu leicht aus dem Nest kullern würden. Die Eier von Vögeln, die in Klippen brüten, sind genau darum etwas länglicher und schmaler; so rollen sie noch weniger und sind noch besser vor dem Absturz geschützt. Und was das Ei als Wachstumsgehäuse für neues Leben ausserdem ideal macht: platziert man Eier nebeneinander, ist zwischen ihnen weniger Raum als bei Kugeln. Das heisst, das weniger kostbare Wärme verloren gehen kann. Wir sind gerüht, so ein Ei ist ein kleines grosses Wunder.
Keine bessere Zeit, des grandiosen Osterei zu gedenken, als jetzt an Ostern, da alle Welt gefärbte Eier versteckt. Und Nester mit Hühnereiern, Schokolade-Eiern und Monster-Nougateiern verschenkt. Oder gar gemäss altem Brauch auf der Wiese Eier wirft. Wir kommen ins Sinnieren: gibt es in der essbaren Natur und überhaupt ein stimmigeres Design als das Ei, das man erst noch auf tausend Arten zubereiten kann?
Und damit wieder zum Ei als Highlight der Schöpfung. Okay, es gibt Kandidaten, die in punkto Bauart und Ästhetik auch begeistern und ebenfalls munden. Man möchte sie nicht missen und schätzt sie sehr: die Erdnuss etwa als dreidimensionale Acht. Die Avocado mit ihrem geschmirgelten Kern wie aus Ebenholz, sowie die Himbeere, dieser kleine rote Samthut. In der hiesigen Gastronomie liegt das Onsen-Ei im Trend. Onsen ist japanisch und bezeichnet eine heisse Quelle. Rund eine Stunde dauert das bei 60-70 Grad, und ein wenig vom salzig-schwefligen Geschmack des mineralhaltigen Wassers geht gern auf das Ei über.
An diesem Wochenende zerstören wir Eier. Tun wir es mit Bedacht, denn jedes Einzelne ist ein kleines Wunder.