Mich gibt es nicht. Wobei, so fern von der Realität bin ich gar nicht, denn alles, was der Autor mich und meine Ausprägungen im Web oder als App hier berichten lässt, beruht auf Tatsachen. Nun möchte ich mich aber erst einmal selbst vorstellen. Ich bin ein Hoffnungsträger aus Worten und habe alle Anwender unter mir. Denn Informationen und andere niedergeschriebene Weisheiten wird in zahllosen Handbüchern festgehalten. Das scheint gar nicht nötig zu sein. Ich ging immer davon aus, dass meine Anwender schon etwas lesen würden, wenn es irgendwo klemmt. Heute tun sie das zunehmend, aber noch vor ein paar Monaten haben sie im Zweifel in der Kneipe über mich gelästert und sich aufgeregt, ohne mich das im Büroalltag spüren zu lassen. Warum die Heimlichkeit? Sollten Sie das Gefühl haben, einen von uns zu kennen, dann ist das Zufall. Der Autor legt grossen Wert darauf, dass Handbücher nicht als Abrechnung oder Fingerzeigen verstanden werden. Es ist einfach schade, wieviel Motivation durch schlechte Hoffnungsträger aus Wort und Bild verspielt wird, und er möchte aufzeigen, wie sich das vermeiden lässt.
Jeder, der schon einmal mit Handbüchern gearbeitet hat, weiss, dass die Gliederung des Inhaltsverzeichnisses über das Finden oder Nichtfinden von Information entscheidet. Jede Überschrift erweckt beim Benutzer bestimmte Erwartungen, welche Art von Information ihn im zugehörigen Textabschnitt erwartet. Findet er die Information nicht oder nur nach längerem Suchen, ist das Handbuch schlecht. Eine übersichtliche und vor allem klare Gliederung ist deshalb zunächst ein wichtiges Qualitätsmerkmal. Allerdings siehe eine gute Gliederung nicht immer gleich aus. Je nach Aufgabenstellung, Produktfunktionen und Zielgruppe arbeiten Handbuchautoren mit verschiedenen Techniken. Entweder bestimmen das Produkt und seine Funktionen oder die Handlungen und Erwartungen des benutzers den Aufbau einer Bedienungsanleitung. Bei der Gliederungstechnik mit produktorientiertem Ansatz richtet sich der Blick auf das produkt und dessen Komponenten. Nehmen wir als Beispiel die Bedienungsanleitung einer Bratofenuhr. Die Überschriften im Inhaltsverzeichnis lauten hier: Knopf A; Knopf B, Knopf C und Anzeige. Der Leser erfährt aus der Gliederung nichts über die verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten dieser Funkuhr, sondern nur etwas über ihre Komponenten. Auch die Überschrift Antennen in einer Bedienungsanleitung für Router ist produktorientiert. Will der Benutzer wissen, wie er die Antennen für den Empfang ausrichtet oder bei der Bratofenuhr die Uhrzeit einstellen kann, muss er sich von vorn bis hinten durch die Bedienungsanleitung durcharbeiten. Bei einer Bedienungsanleitung für eine komplexe Maschine oder Anlage ist das sicher die falsche Gliederungstechnik. Das heisst aber nicht, dass rein produktorientierte Gliederungen von vornherein schlecht sind: praktisch und sinnvoll sind sie zum Beispiel bei Stücklisten, Ersatzteilkatalogen und Befehlsregistern. Produktorientierte Überschriften erkennt man leicht: sie sind kurz und bestehen oft nur aus dem Komponentennamen.
Die Abenteuer des Schlossgespents Hui Buh sind seit den siebziger Jahren ein Märchen für Anwender. Seit dem Mittelalter haust es oben im Burgfried, rasselt mit seiner rostigen Eisenkette und piekst ungläubige Schlossgäste mit dem Morgenstern. Heutzutage werden Erwachsenen ähnliche Märchen erzählt: Bedienungsanleitungen und auch Benutzerhandbücher sind stets Anlass zu Kritik; je komplizierter ein Produkt, desto unverständlicher das Handbuch. Und je grösser die Investititon, umso wichtiger wird der richtige Einsatz des Produkts und die Ausnutzung aller Funktionen. Ein Blick in mich als Handbuch lohnt und erfordert eine genaue Lektüre schon deshalb, weil alles mit allem, komplexer, vielschichtiger und interaktiver wird. Da geraten nicht nur Internet der Dinge Marschrichtungen in ein verwirrendes Vörwärts-rückwärts-Spiel, auch die Produkt-Optionen bleiben nebulös und unverbindlich. Deshalb ergibt sich bei einem anderem Ansatz die Gliederung aus den Funktionen des Produkts und den Anwendungen, die das Produkt ermöglicht und die der Benutzer kennt. So möchte beispielsweise der Benutzer einer Funkuhr wissen, wie man die Zeit stoppen oder die Uhrzeit einstellen kann; oder der Anwender einer App will Auskunft über Datei laden, bearbeiten, Zeichen löschen und so weiter. Alle diese Überschriften sind anwendungs- oder funktionsorientiert. Dieser Ansatz erscheint m.E. in der Praxis viel zu selten: häufig verstecken sich hinter Komponentennamen Anwendungen. Wenn zum Beispiel unter der produktorientierten Überschrift Bedienelemente die Funtkion ein- und ausschalten beschrieben wird, muss der Benutzer erst kombinieren, bevor er einschalten kann. Das, was er in der Bedineungsanleitung sucht – nämlich, wie man das Endgerät ein- und ausschaltet -, findet er nur auf Umwegen und nicht mit Hilfe der Überschrift. Für die Beurteilung eines Handbuchs bedeutet das: steht eine Information versteckt im Inhaltsverzeichnis, spricht das nicht für die Qualität der Anleitung. Der benutzerorientierte oder chronologische Ansatz kann das Problem der anwendungs- oder funktionsorientierten Gliederungstechnik überwinden. Hier werden die Handlungsanweisungen chronologisch aufgelistet. Der Benutzer bekommt Anweisungsketten gezeit und wird Stück für Stück in das Endgerät eingeführt.
Bei der Beurteilung von Webseiten, App Menüstrukturen oder Handbüchern sollte man sich darüber im klaren sein, dass das Produkt und seine Funktionen den (Menü-)Aufbau immer bestimmen werden. Benutzerlogik ist kein Dogma. Sind beispielsweise bei einem Fahrzeug zuerst die Radio- und die Handykopplung einzustellen, bevor das Rufnummernverzeichnis genutzt werden kann, so erfordert die Produktlogik eine Beschreibung in genau dieser Reihenfolge – auch wenn in der Erwartungshaltung des Benutzers die Funktion Rufnummer suchen an erster Stelle steht. Mischformen sind oft sogar notwendig, um dem Anwender die Bedienung seines Produkts klarzumachen. Und das kann man bereits erkennen, wenn man sich seine Zielgruppe genau anschaut – eine kleine Mühe, die man sich vor dem Launch machen sollte.
Zurück zum Beispiel mit der Funkuhr: um die Anwendung Zeit einstellen auf der Bratofenuhr auszuführen, sind erstens Monat, zweitens Tag, dann Stunde, Minute und schliesslich Sekunde einzustellen, und das genau in dieser Reihenfolge. Entsprechend heissen die Überschriften der Bedienungsanleitung: (a) Monat einstellen, (b) Tag einstellen und so weiter. Der chronologische Ablauf bestimmt die Folge der Anwendungen oder auch Handlungsschritte bei Anweisungsketten. Ein weiteres Beispiel für Handlungsschritte: Taste Check-Programm drücken, dann Enter drücken – und nicht umgekehrt. Wie bei der funktionsorientierten Gliederungstechnik bestehen auch hier die Überschriften häufig aus einer Kombination von Substantiv und Verb, wie beispielsweise CD einschieben, Progamm laden. Den benutzerorientierten oder chronologischen Blickwinkel erkennt man an der Reihenfolge und der Beziehung einzelner Überschriften zueinander. Der lernlogische oder erwartungsorientierte Ansatz geht jetzt noch einen Schritt weiter. Die Produktlogiktritt in den Hintergrund gegenüber den Bedürfnissen des benutzers. Den Aufbau der Dokumentation bestimmt die zentrale Frage: wo und in welchem Zusammenhang sucht der benutzer die gewünschten Informationen? Mit welcher Erwartungshaltung tritt er an das Endprodukt heran? Lernlogische Gliederungstechnik bedeutet konkret: die wichtigsten und häufigsten gebrauchten Funktionen stehen am Anfang der Anleitung. Wesentliches ist von Unwesentlichem getrennt. Technische Daten und Garentieerklärungen sind nach hinten verbannt. Ein lernlogisch aufgebautes Manual behandelt den Lernteil vor Problembeschreibungen oder speziellen Tricks; Tastatur-Schablonen sind nicht in der Mitte des Handbuchs zu finden, sondern vorn. Dieser Ansatz kommt den Bedürfnissen der Anwender gewiss am meisten entgegen. Er ermöglicht es, sich schnell mit der Bedienung eines Endgeräts oder einer Anwendung vertraut zu machen. Der Anwender findet im Handbuch Informationen und Handlungsanweisungen dort, wo er sie entsprechend seinen Erwartungen sucht. Dieser Ansatz reicht jedoch als Gliederungstechnik nicht aus. Ein Beispiel: wenn die Funktion einschalten und ausschalten oder Datei öffnen und schliessen in den verschiedenen Kapiteln behandelt werden, ist der Benutzer auf sein Vorwissen angewiesen. Einsteiger, die sich oft sicherer fühlen, wenn sie bereits beim Start erfahren, wie sie eine Anwendung oder App wieder richtig beenden können, hilft diese Gliederungstechnik wenig.
Das war´s. Ich gebe zu, trotz all den Beschreibungen, Warnungen und Tipps bin ich bis heute keine hundertprozentig fehlerlose Ausgabe. Vorher war ich es aber noch viel weniger und dachte trotzdem, ich könne kaum noch etwas lernen. Für mich selbst ist meine Aufgabe heute sehr viel erfüllender, denn das Helfen und Ausführen in Form von Online-Hilfen und Menüstrukturen birgt eine Menge spannender Erfahrungen und kann im Gegenzug die eigene Motivation steigern. Nebeneffekt ist, dass ich immer mehr Anwender mit ähnlichen Gedanken kennengelernt habe und mich niemand mehr als meinungsloses Stummfilm-Manuskript abstempelt. Sollten Sie selbst Erfahrungen mit uns gemacht haben, die Sie mit dem Autor teilen möchten, können Sie diese gern als Kommentar formulieren – er freut sich über gute wie schlechte Beispiele oder persönliche Hinweise.